Grundrecht: Gewalt und Unterdrückung durch Behörden: Amnesty International sieht Versammlungsfreiheit in Deutschland gefährdet

Deutschland wird von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International erstmals als ein Land bewertet, in dem die Versammlungsfreiheit durch staatliche Stellen bedroht wird.
Das Urteil sollte für ein Land mit dem Selbstverständnis eines demokratischen Rechtsstaats ein Weckruf sein, mindestens: "In Deutschland werden Proteste von staatlichen Behörden mitunter als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrgenommen und deshalb eingeschränkt", sagt Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI).
Erstmals wird die Bundesrepublik auf der "Protest Map" von AO aufgeführt, gemeinsam mit Ländern wie Belarus, Russland oder China. Die digitale Karte zeigt Staaten, in denen nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation die Versammlungsfreit durch staatliche Stellen eingeschränkt wird. In insgesamt 86 von 156 untersuchten Ländern wurde der Auswertung zufolge im vergangenen Jahr unrechtmäßige Gewalt gegen friedlich Demonstrierende eingesetzt. Schlagen, willkürliches Festnehmen, Foltern, Verschwindenlassen, Töten gehören demnach zum Arsenal vieler Unrechtsstaaten.
Amnesty International kritisiert deutsche Behörden
In Deutschland sieht AI vor allem im Umgang mit Klimaschutzprotesten fragwürdiges Vorgehen staatlicher Stellen. "Protest wird teils kriminalisiert und dämonisiert, statt ihn als Menschenrecht zu achten und als Kern einer lebendigen Zivilgesellschaft anzuerkennen", so Paula Zimmermann weiter. Das Vorgehen der Behörden bereite ihrer Organisation "große Sorge".
Präventivhaft Letzte Generation Regensburg 17.28
AI kritisiert vor allem unrechtmäßige Gewalt, den Missbrauch nicht-tödlicher Waffen durch die Polizei, eine repressive Gesetzgebung sowie die Betrachtung von Protesten als Bedrohung und nicht als Menschenrecht.
Unter anderem verweist die Organisation auf die verhängten Präventivgewahrsamnahmen von Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten in Bayern. Die Präventivhaft werde zu Abschreckungszwecken eingesetzt statt, wie ursprünglich gedacht, zur Verhinderung von schweren Gewaltdelikten.
Auch den Einsatz von "Schmerzgriffen" durch Polizeibeamtinnen und -beamten zur Auflösung von Straßenblockaden kritisiert AI: "Schmerzgriffe verstoßen häufig gegen die Verhältnismäßigkeit, vor allem, wenn sie gegen friedlich Protestierende eingesetzt werden, die ohne Weiteres weggetragen werden könnten, um den Protest aufzulösen", sagte Paula Zimmermann.
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Artikel 8, Absatz 1 des Grundgesetzes
Die Anwendung von "Schmerzgriffen" wird dieser Tage im Zusammenhang mit den Klimaschutzprotesten in Berlin erneut diskutiert. Nach Kritik an solchen Techniken sagte eine Sprecherin der Hauptstadt-Polizei im Gespräch mit dem stern, diese seien "im Rahmen des sogenannten unmittelbaren Zwangs "rechtlich zulässig" (lesen Sie hier mehr dazu). Die Berliner Polizei ergänzte bei X, vormals Twitter: "Diese im polizeilichen Einsatztraining erlernten Techniken bergen weniger Verletzungsrisiko beiderseits als das 'Wegtragen' einer sich wehrenden/sperrenden Person. Sie sind daher regelmäßig das mildeste, geeignete und erforderliche Mittel." AI-Expertin Zimmermann meint: "In einigen Fällen können diese Techniken sogar eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung darstellen und damit gegen das Folterverbot verstoßen."
Amnesty International fordert angesichts der beobachteten zunehmenden Unterdrückung von Protesten die Gewährleistung des im Grundgesetz garantierten Grundrechts: "Wir appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, die Versammlungsfreiheit in Deutschland umfassend zu schützen."
Hier können Sie die "Protest Map" von Amnesty International sehen
Quellen: Amnesty International, Polizei Berlin, Grundgesetz, Nachrichtenagentur DPA