Umgang mit der AfD: Offen für Minderheitsregierungen? CDU streitet über stern-Interview von Historiker Rödder

Der Historiker Andreas Rödder hat sich offen für Minderheitsregierungen seiner der CDU im Osten gezeigt, selbst wenn diese hin und wieder von der AfD unterstützt würden. Die Parteiführung um Generalsekretär Linnemann hält das für keine besonders gute Idee.
Die CDU streitet weiter über den richtigen Umgang mit der AfD – aber an diesem Dienstagmittag muss erst einmal Zeit für Äußerlichkeiten sein. Im Atrium der Parteizentrale in Berlin präsentiert Generalsekretär Carsten Linnemann den neuen Anstrich der Christdemokratie. Das Look-and-Feel von Deutschlands letzter Volkspartei schimmert nun türkisblau. Oder wie Linnemann sagt: "modern, dynamisch, frisch."
Das Türkis hat die Partei "Cadenabbia" getauft, die dunkelblaue Ergänzungsfarbe heißt "Rhöndorf". Zwei Orte, an denen Konrad Adenauer viel Zeit verbracht hat. Man muss nicht deutsche Parteiengeschichte studiert haben, um in der farblichen Erneuerung der CDU dementsprechend eine Anspielung auf ein altbewährtes Motto zu finden: "Keine Experimente!". Was bemerkenswert ist, wirkt es in dieser Woche doch eher so, als seien Teile der Partei dazu bereit, im Umgang mit der AfD durchaus mehr Experimente zu wagen.
In einem Interview mit dem stern hat etwa der Historiker Andreas Rödder die CDU zu einem Strategiewechsel aufgefordert – und damit für ordentlich Wirbel gesorgt. Rödder, der auch Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission ist, zeigte sich offen für Minderheitsregierungen seiner Partei im Osten, selbst wenn diese hin und wieder von der AfD unterstützt würden. "Die entscheidende Frage wäre: Ist es eine Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheit immer wieder neu suchen muss? Dann ist es völlig in Ordnung", sagte Rödder. "Problematisch wäre es erst, wenn sich die CDU offiziell von der AfD tolerieren ließe und dafür Absprachen eingehen würde. Das wäre eine rote Linie."
Rödders Interview wirft gleich mehrere Fragen auf. Vor allem diese: Sieht seine Parteiführung das auch so?
Linnemann und Prien distanzieren sich von Rödder
Es dauerte nicht lange – nur ein paar Fragen zu den auffallenden Ähnlichkeiten des neuen CDU-Türkis mit dem ÖVP-Türkis in Österreich später – soll General Linnemann zu Rödder Stellung beziehen. Aber er will nicht, bittet um Verständnis, später gerne. Jetzt gehe es schließlich um das neue Erscheinungsbild der Partei, sagt er.
Die moderne Farbenlehre der CDU soll offenbar nicht durch schnöde Machtfragen gestört werden.
Das Statement zu Rödder kommt dann wenige Stunden später per Mail. "Wir schätzen die Arbeit, die Herr Prof. Rödder in unserer Programm- und Grundsatzkommission leistet. Aber wir teilen in diesem Punkt seine Auffassung nicht", erklärt Linnemann. "Im Gegenteil, wir kämpfen gemeinsam dafür, dass die CDU bei allen anstehenden Landtagswahlen stärkste Kraft wird, sodass gegen uns nicht regiert werden kann. Das gilt für Hessen am 8. Oktober genauso wie für Sachsen, Thüringen und Brandenburg im nächsten Jahr."
Es ist eine Distanzierung, ohne sich wirklich auf die Debatte einzulassen. Rödder würde wohl kaum widersprechen, dass die Union bei allen Wahlen versuchen sollte, stärkste Kraft zu werden.
Deutlicher klingt da schon Karin Prien, CDU-Parteivize und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. "Professor Rödder hat in der Grundsatzkommission sehr viel Engagement gezeigt, aber an dieser Stelle überschreitet er seine Kompetenzen", sagte sie. "Solche Einlassungen, die zudem weder von Präsidium noch Bundesvorstand gedeckt werden, sind völlig inakzeptabel."
Sich in irgendeiner Art und Weise von der AfD abhängig zu machen, erklärte Prien weiter, sei völlig ausgeschlossen. "Umso wichtiger ist es in dieser Zeit, dass die demokratischen Parteien einen Umgang miteinander pflegen, der zukünftige Kooperationen möglich lässt." Rödder solle seine Rolle überdenken und nicht den Eindruck erwecken, er spreche für die CDU.
Ex-Generalsekretär Polenz fordert Rödder-Rückzug
Auch in den sozialen Netzwerken wurden einige CDU-Politiker deutlich. Folgte man Rödder, schrieb Dennis Radtke, der Vizechef des Arbeitnehmerflügels, "würde aus der Brandmauer eine Wanderdüne".
Und der frühere Generalsekretär Ruprecht Polenz forderte gar, Rödder könne nicht weiter die Grundwertekommission leiten. "Das ist eine herausgehobene Position, die einen klaren Werte-Kompass voraussetzt."
Unterstützung für Rödder kam hingegen von der früheren Familienministerin Kristina Schröder.
Kritik an Merz und Linnemann im CDU-Präsidium
Die Frage des Umgangs mit der AfD wühlt die Union bereits seit einigen Tagen auf, seit die Thüringer CDU-Fraktion vergangenen Donnerstag im Landtag mit den Stimmen AfD einen Antrag durchgesetzt hat. In der Präsidiumssitzung am Montag räumten Linnemann und Parteichef Merz Teilnehmern zufolge ein, dass die Entscheidung kommunikativ nicht optimal vorbereitet gewesen sei. Mehrere Redner hatten zuvor kritisiert, dass weder Vorstand noch Präsidium eingebunden gewesen seien.
Merz hatte in einem Fernsehinterview tags zuvor betont, die Entscheidung sei mit allen Landesverbänden besprochen. Von einer "Falschbehauptung des Vorsitzenden" sprachen später Präsidiumsmitglieder mit Blick auf die TV-Äußerungen. Zudem fragten Anwesende, warum man mit einem solch heiklen Vorgehen in Thüringen nicht auf die Zeit nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern hätte warten können. "Das belastet uns vor Ort, das ist doch klar", heißt es in Präsidiumskreisen.
Man verabredete sich, den Umgang mit der AfD noch einmal grundsätzlicher zu klären. Dazu will das Präsidium in den kommenden Wochen mit den ostdeutschen Landesverbänden zusammenkommen – offenbar im Rahmen einer eigenen Klausurtagung. Womöglich sind Erfurt, Dresden und Potsdam für die CDU im Jahr 2023 dann doch wichtiger als Rhöndorf und Cadenabbia.