Kriegsende 1945: Als Ostern zum "Tag des Schreckens" in St. Leon-Rot wurde wurde
Von Kuno Schnader
St. Leon-Rot. Am Ostersonntag, 1. April 2018, sind es 73 Jahre her, dass beim deutschen Artillerieangriff auf Rot am Ostersonntag 1945 32 Menschen den Tod fanden. In St. Leon kamen vier wehrlose deutsche Soldaten und ein Volkssturmmann im Kugelhagel eines Maschinengewehrs aus einem vorbeifahrenden französischen Panzer ums Leben.
Das Lebensmitteldepot der Wehrmacht im Gasthaus Zum Hirsch war zur Räumung freigegeben. Eine Granate schlug dort ein und tötete 15 Menschen. In Rot wurden 52 Zeitzeugen über das schreckliche Geschehen befragt, die als Kinder oder Erwachsene den Angriff miterlebten.
Die vom SWR-Fernsehen ausgestrahlte Sendung über den Gedenktag 2015 und die über den Angriff verfasste Dokumentation rief weitere 16 Zeitzeugen auf den Plan, darunter Einwohner aus St. Leon, Rettigheim, Mühlhausen und Malschenberg, die aufschlussreiche und bisher nicht bekannte Einzelheiten zu Protokoll gaben. Sie ermöglichten es, den Angriff in weiteren Einzelheiten zu rekonstruieren.
Auch der zwölfseitige Zeitzeugenbericht des französischen Kriegsgefangenen Denis Palu-Laboureu, damals im landwirtschaftlichen Anwesen von Luise Knopf in Diensten, ist inzwischen übersetzt und ausgewertet. Seine Beobachtungen aus der Sicht eines französischen Kriegsgefangenen sind aufschlussreich und vollkommen identisch mit den Schilderungen einheimischer Zeitzeugen. Der Bericht ist voll des Lobes über die gute Behandlung der französischen Kriegsgefangenen während des Krieges in Rot.
In Militärarchiven konnte außerdem auch die Identität des SS-Obersturmbannführers Rudolf Klaphake von der 17. SS-Panzerdivision "Götz von Berlichingen" ermittelt werden. Seine Aussage "wir werden Rot in Schutt und Asche legen" ist mehrfach von Zeugen bestätigt. Hintergrund dieser Drohung war die Weigerung der Roter Bevölkerung, den Ort zu verteidigen.
Die folgenden Schilderungen stehen stellvertretend für die grausamen Tragödien, die den Ostersonntag 1945 in St. Leon-Rot zum "Tag des Schreckens" werden ließen. Emi Becker (Jahrgang 1930) und Hilda Schäffner, geb. Ziegelmüller (1927) aus Rot waren im Gasthaus Zum Hirsch und rannten im Granathagel Schutz suchend von Kellereingang zu Kelleingang zur Neugasse (heute Keltergasse). Dort bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Zerbrochene Ziegel, Dachsparren, Fensterrahmen, Glasscherben aus dem Haus Nr. 13 und ein zerfetztes Hoftor waren auf die Neugasse geschleudert worden. Acht Kinder, darunter drei Geschwister von Emi Thome lagen leblos, vom Luftdruck getötet, im Hof. Ihr Bruder Edgar hatte noch die Hundeleine mit dem winselnden Hund in der Hand. Drei Kinder ihrer Tante und zwei Kinder des benachbarten Glasers Vetter hatte es ebenfalls erwischt.
Das schaurige Erlebnis fand seine Fortsetzung in einem grausamen Fund: Von Emis Mutter fand man zunächst keine Spur. Dann am Abend die Entdeckung: An der Traubenlaube hing eine Kopfhaut mit schwarzen Haaren. Die Vermutung wurde zur Gewissheit. Der Granateinschlag in Stegers Hof hatte Emis Mutter zerfetzt. Fast die gesamte Familie war ausgelöscht. Emis Vater, 1946 aus der russischen Gefangenschaft heimgekehrt, musste den Verlust seiner Familienangehörigen erst einmal verkraften.
Auch in St. Leon schlug der Krieg zu: Theodor Breitner (1933) erinnert sich: "Im Haus meiner Eltern Otto und Gertrud Breitner in der Kirrlacher Straße 10, ehemals letztes Haus in Richtung Kirrlach, sammelten sich im Hof morgens circa zwölf müde, hungrige und versprengte Soldaten und ein Volkssturm-Mann. Sie wurden von meiner Mutter und meiner Tante versorgt. Auch die Nachbarin Frieda Heger, Mutter des 13 Jahre alten Hans, hatte zum Essen eingeladen. Nach längerem Beratschlagen beschlossen die Soldaten, sich zu ergeben. Es war irgendwie bekannt, dass es eine Kriegsgefangenen-Sammelstelle der Amerikaner am Dreschplatz in Richtung Rot geben solle. Daher ging ich mit Hans neben der Reihe der Soldaten im sogenannten Gänsemarsch in Richtung Dreschplatz, um den Soldaten den Weg zu zeigen. Wir waren auf der Höhe der Bäckerei Brecht. Da tauchte plötzlich ein aus Richtung Speyer kommender Panzerspähwagen auf. Die französische Besatzung eröffnete mit dem Maschinengewehr das Feuer und tötete vier Soldaten und einen Volkssturmmann, die alle wehrlos und unbewaffnet waren. Wir Jungen hatten das Glück nicht getroffen zu werden."
Tote und Verwundete lagen auf der Straße vor der Schmiede Fuchs und später in der Scheune gegenüber. Sanitäter Friedrich Gottselig, Veteran de Ersten Weltkrieges, leistete mit seinen Mannen Erste Hilfe und Pfarrer Lorenz spendete die Heilige Ölung. Auf Rollen, mit Zeltplanen bedeckt, wurden die Toten zum Friedhof gefahren, wo sie Pfarrer Lorenz am 3. April beerdigte.
Emil Klevenz (1932) beobachtete das Geschehnen von der Kirchenstaffel aus. Die Kirchentür war verschlossen, denn der Gottesdienst fiel aus. Emil Klevenz war Messdiener und später bei der Beerdigung der Soldaten zugegen.
Die Broschüre "Der Tag des Schreckens" aus dem Jahre 2015 wird zum 70. Jahrestag wegen der zusätzlichen Erkenntnisse in erweiterter Form neu aufgelegt. Die darin gezogenen Schlussfolgerungen bestätigen eindeutig, dass es sich bei dem Angriff auf Rot um einen Racheakt der Waffen-SS und weniger um einen strategischen Beschuss handelte.
Die Dokumentation und die schlichen Gedenkstätten in den neu gestalteten Friedhöfen in St. Leon und in Rot sind Mahnmale wider das Vergessen und verstehen sich als Beitrag zum Erhalt der Erinnerungs- und Gedenkkultur. Sie wollen Vergangenes vergegenwärtigen, Erlebtes wachhalten und eine Brücke schlagen zur Gegenwart mit der Aufforderung an Politiker, Machthaber und an die Menschheit, alles dafür zu tun, dass sich solche kriegerischen Vorgänge nicht wiederholen.