Jahrestag des Abtreibungsverbots: Mindestens 34.000 Frauen in Polen wollten illegalen Schwangerschaftsabbruch
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Vor einem Jahr führte die polnische Regierung ein Abtreibungsverbot ein. Organisationen schlagen Alarm: Mindestens 34.000 Frauen hätten in diesem Jahr illegal abgetrieben – die Dunkelziffer liege deutlich höher.
Ein Jahr ist es nun her, dass das polnische Verfassungsgericht das Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen verschärfte. Im Oktober 2020 entschieden die Richter: die Abtreibung von schwer fehlgebildeten Föten ist verfassungswidrig. Das ohnehin schon sehr restriktive Gesetz wurde de facto zu einem Abtreibungsverbot. In den folgenden Monaten demonstrierten Hunderttausende auf der ganzen Welt gegen das polnische Gesetz. Vergeblich.
12 Monate nach dem höchst umstrittenen Urteil schlagen mehrere Frauenrechtsorganisationen Alarm. Laut der NGO "Abortions without borders" (AWB), die Frauen dabei hilft, eine sichere Abtreibungsbehandlung zu bekommen, haben mindestens 34.000 Frauen in Polen einen illegalen Schwangerschaftsabbruch erbeten oder ihn im Ausland durchführen lassen, wo die Rechtslage progessiver ist.
Laut AWB ist dies allerdings vermutlich nur ein Bruchteil der wirklichen Anzahl. Ewa Hirvonen von der Laurea University of Applied Sciences in Vantaa, Finnland arbeitete in einer Forschungsarbeit heraus, dass die Dunkelziffer der Abtreibungen in Polen im Bereich von 80.000 bis 200.000 liegt.
Ebenfalls ein Bruchteil dessen ist der Anteil der legalen Abtreibungen in Polen. Seit der Gesetzesverschärfung ist ein Schwangerschaftsabbruch nur noch erlaubt, wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung und oder Inzest entstanden ist, oder wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Dies betrifft nur etwa 2 Prozent aller Schwangerschaften. Laut der Nachrichtenagentur AFP gibt es weniger als 2000 legale Abtreibungen jährlich in Polen.
Wie AWB berichtet, seien allein 460 polnische Frauen in diesem Jahr für einen Schwangerschaftsabbruch im zweiten Trimenon, also zwischen der 14. und 27. Schwangerschaftswoche nach Großbritannien gereist. Dort ist eine Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche generell erlaubt und unter bestimmten Umständen auch danach noch möglich.
Nach eigenen Angaben konnte die Organisation zudem Frauen dabei helfen, nach Deutschland, Spanien oder Tschechien zu reisen, um abzutreiben. Zudem habe AWB mit dem Ableger "Women help women" insgesamt 18.000 polnischen Frauen den Zugang zu Medikamenten für einen Schwangerschaftsabbruch verschafft.
Ebenfalls ein düsteres Bild zeichnet ein Bericht von Human Rights Watch aus dieser Woche, der in Zusammenarbeit mit 14 Menschenrechtsorganisationen verfasst wurde. "Das Urteil des Verfassungsgerichts richtet unvorhersehbaren Schaden an – insbesondere für diejenigen, die arm sind, auf dem Land leben oder ausgegrenzt werden", so Urszula Grycuk, Korrdinatorin für internationale Interessenvertretung von der "Federation for women und family planning" in dem Bericht.
Das sieht Mara Clarke, die Gründerin von AWB ähnlich. Im Gespräch mit der britischen Zeitung "The Guardian" betonte sie: "Wir sehen immer mehr Frauen mit fetalen Anomalien, die unsere Dienste in Anspruch nehmen, seit das Gesetz verschärft wurde."
Immer wieder höre sie, dass Ärzte fetale Anomalien und die Auswirkungen dieser herunterspielen oder dass sich Mediziner in seltenen Fällen sogar weigern, eine solche Diagnose auszustellen. Damit wäre es für polnische Frauen deutlich schwieriger eine Abtreibung legal vornehmen zu lassen.
Abtreibungen waren in dem erzkatholischen Land schon immer ein Reizthema. Bis 1932 waren sie ganz verboten, anschließend wurde das Gesetz aufgeweicht und Schwangerschaften in Folge von Vergewaltigungen oder Inzest konnten beendet werden. Der erneute Verschärfung des Gesetzes im Oktober 2020 hatte Massenproteste im ganzen Land ausgelöst. Auch zum Jahrestag sind Demonstrationen geplant.
Quellen:The Guardian, Abortion without borders, Women help women, Human Rights watch, Federation for women and family planning, Forschungsarbeit "Polish Abortion Tourism", mit Material von AFP