FDP-Politiker gegen Impfpflicht: Die Kubicki-Methode: Wie man Liberalismus und Leichtsinnigkeit erfolgreich verwechselt
Mindestens 20 FDP-Abgeordnete haben sich in einem Antragsentwurf gegen eine Impfpflicht ausgesprochen – darunter auch Partei-Vize Wolfgang Kubicki. Der hat in einem Interview eindrucksvoll vorgeführt, wie man sich argumentativ selbst demontiert.
FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki hat es in 51 Jahren Parteimitgliedschaft zur Meisterschaft darin gebracht, andere zum Kopfschütteln zu bringen. Dass der mittlerweile 69-Jährige aneckt, sei ihm gegönnt – schließlich tut er das ganz offensichtlich von Herzen gerne. Ohnehin ist die vielgerühmte klare Kante unter Politikern eine verführerische Frucht.
Ob Karl Lauterbach, Gregor Gysi oder Joschka Fischer: Politikern, die gegen den Strom schwimmen, die ihre Meinung auch entgegen großer Widerstände verteidigen, sieht die Öffentlichkeit gerne den ein oder anderen Spleen nach. Schwierig wird es jedoch, wenn die klare Kante zum klaren Unfug mutiert. Das hat Kubicki dieser Tage eindrucksvoll bewiesen.
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Die Impfpflicht widerspricht nicht liberalem Denken
Zuletzt hatte der leidenschaftliche Sprücheklopfer eigenen Angaben zufolge mehr als 30 FDP-Abgeordnete um sich geschart. Das Ziel dieser Ritter der Schwafelrunde: die Corona-Impfpflicht im Keim ersticken. Es gehe schließlich um nichts anderes als die Freiheit! Dem ganzen die Corone aufgesetzt hat Kubicki allerdings in einem am Samstag erschienenen Interview mit der "Zeit". Darin verliert er sich in nicht nur fragwürdigen, sondern in vielen Punkten auch inhaltlich vollkommen fahrlässigen Argumenten. Kubicki verwechselt Liberalismus mit Leichtsinnigkeit.
Die vor nicht allzu langer Zeit von der Politik ausgeschlossene Impfpflicht widerspreche seinem "ganzen Menschenbild". Kubicki erscheint "1G" als der beste Weg – alle, "die beispielsweise in ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim kommen" sollen getestet sein. Dabei hatte er vor Kurzem selbst für die Impfpflicht von medizinischem Personal votiert. Aber das sei dann auch genug, oder genauer gesagt "die Grenze des Zumutbaren". Das ist vor allem konsequent inkonsequent.
Mittlerweile sei übrigens klar, so Kubicki weiter, dass auch Geimpfte ansteckend sind. Ein schönes Beispiel dafür, wie man mit wahren Worten lügen kann. Um es noch ein hoffentlich letztes Mal zu sagen: Ja, auch Geimpfte können andere Menschen mit Corona anstecken. Nur ist das eben deutlich seltener als bei ihren trotzigen Mitbürgern der Fall – mal ganz abgesehen davon, dass die Geimpften die Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit besser überstehen als Kubicki einen korkigen Rotwein.
"Wir alle wünschen uns doch, möglichst schnell und einfach aus der Pandemie zu kommen", so Kubicki. Recht hat er. Allerdings wäre eine Impfpflicht genau das – nicht nur der schnellste, sondern vor allem der einzige Weg aus dem Hamsterrad Corona. Denn alles andere wurde bereits versucht. Ob eine Impfpflicht rechtens ist, hängt immer von einer entscheidenden Komponente ab: der Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber muss sich fragen, ob die Pflicht des Staates, seine Bürger zu schützen schwerer wiegt, als die persönliche Freiheit des Einzelnen. Und nein: Das widerspricht keineswegs liberalem Denken. Das ist nichts anderes als die Kernaufgabe einer jeden Regierung: der Schutz der Bürger.
Kubicki ist seine eigene rhetorische Risikogruppe
Bei Aussagen wie: "Ich möchte nicht, dass China unser Vorbild wird", wirkt es dann so, als hätte Kubickis Zunge seinen Verstand überrundet. In einem Satz wirkt es, als wolle er der Bundesrepublik das Ziehen eines One-Way-Tickets in Richtung Autokrasien unterstellen, nur um dann zu sinnieren: "Wir können Meinungsbilder doch verändern". Aber er selbst würde seine "politischen Entscheidungen jedenfalls nie auf Meinungsumfragen stützen." Ja was denn nun?
Weil der 69-Jährige ganz offensichtlich seine ganz eigene rhetorische Risikogruppe ist, darf natürlich auch ein Vergleich zwischen Coronapandemie und Grippewelle nicht fehlen. Weil er in einem Beitrag vor drei Jahren gesehen habe, dass auch eine Wintergrippewelle zur Überlastung des Gesundheitssystems führen könne, solle sich der Staat lieber um die Aufstockung der Klinikkapazitäten kümmern, anstatt an den Grundrechten rumzupfuschen. Er könnte genauso gut sagen: Anstatt ein Schutzgitter vor den brennenden Kamin zu stellen, sollten wir uns lieber um mehr Feuerwehrleute kümmern. Überraschung: Dass die eine Maßnahme die andere nicht ausschließt, kommt Kubicki nicht in den Sinn.
Am Ende ist das alles nur noch ermüdend. Denn eigentlich hat der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle schon im Februar 2020 in der Talkshow "Chez Krömer" alles zur Personalie Kubicki gesagt: "Man muss sagen, Wolfgang wird langsam ein bisschen komisch".
Quelle: "Zeit Online"