Auslandsjahr in Russland: Studentin über Anti-Kiegs-Demos in Russland – "Morgen bin ich vielleicht im Gefängnis"
Friederike Grube studiert slawistische Linguistik im Master. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, war sie mitten in einem Auslandsjahr in St. Petersburg. Aus Angst, dort festzusitzen, kehrte sie fluchtartig nach Deutschland zurück.
Seit sieben Jahren lernt Friederike Grube Russisch. Die Masterstudentin aus Nordrhein-Westfalen ist fasziniert von der Sprache und der Kultur. Als der Krieg ausgebrochen ist, war die 25-Jährige zum vierten Mal in Russland. Im Gespräch mit dem stern erzählt sie von dem Gefühl der Ohnmacht, der komplizierten Ausreise und dem gefährlichen Widerstand ihrer russischen Freunde.
Wann und wie hast du von dem nächtlichen Überfall auf die Ukraine erfahren?
Ich habe zum Ende in einer WG mit russischen Mädchen gelebt. Von ihnen wusste ich, dass man die Informationen am besten von Telegram bezieht, also nicht über die Staatsmedien, sondern über alternative Informationskanäle. Am nächsten Morgen hatte ich von der App direkt Push-n über den Krieg auf meinem Handy.
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Was war deine erste Reaktion auf den Angriff?
Ich war geschockt und konnte das Geschehen nicht einordnen, weil man vorher nicht das Gefühl hatte, dass es so eskalieren könnte. Man hat sich taub gefühlt. Wir ausländischen Studierenden wussten nicht, ob wir ausreisen sollten oder was eventuelle Sanktionen für unseren Aufenthalt bedeuten. Es war alles ziemlich unsicher.
Wie waren die Reaktionen in deinem Umfeld, vor allem auch von deinen russischen Kommilitonen?
Der Großteil der russischen Bevölkerung hat mir den Eindruck vermittelt, dass sie gegen den Krieg sind und Putins Vorgehen in keiner Weise unterstützen. Einige haben mir gesagt, dass sie beschämt sind, aus Russland zu kommen und traurig sind, dass die Welt ein schlechtes Bild von der Bevölkerung vermittelt bekommt. Viele, auch meine Mitbewohnerinnen, wollten sich direkt aktiv beteiligen und sind am Donnerstag auf die ersten Proteste gegangen.
Hast du auch an einem Protest teilgenommen?
Ich wollte, aber meine Mitbewohnerin hat mir davon abgeraten. Sie sagte, es sei viel zu gefährlich für mich als Ausländerin, weil ich vielleicht nicht alles verstehen würde und nicht wüsste, an wen ich mich wenden solle, wenn es Probleme gibt. Die Gefahr ist mir noch klarer geworden, als sie mir erzählte, dass sie zur Vorbereitung ihre Jackentaschen zunäht.
Bei den Nawalny-Protesten letztes Jahr sei es nämlich vorgekommen, dass die Polizei den Demonstranten Drogen untergeschmuggelt hätte. Sie hat mir auch erzählt, dass die Universität Studenten exmatrikulieren würde, wenn sie bei Protesten festgenommen werden. Ich hatte gestern noch einmal Kontakt mit ihr und sie sagte mir, dass sie vielleicht im Gefängnis sitzt, wenn ich morgen nichts vor ihr höre.
Wie hast du die Stimmung in der Stadt St. Petersburg wahrgenommen?
Ich kann es nur an den Protesten festmachen, die ich gesehen habe. Seit Beginn des Krieges war viel los auf den Straßen und die Menschen sind rausgegangen, um sich zu positionieren und zu zeigen: Wir wollen das nicht, das ist Putins Krieg.
Wie hat sich das Leben in Russland für dich verändert?
Ich bin nach einigen Tagen schon ausgereist. Bis dahin hat sich für mich noch nicht so viel verändert, außer die Angst, dass ich nicht mehr ausreisen kann, weil russische Airlines in vielen Ländern nicht mehr landen durften. Die zweite Angst war, dass Russland aus dem Swift-System gekickt wird und wir mit unseren ausländischen Kreditkarten nicht mehr an Geld kommen. Das ist später auch eingetroffen. Die russische Bevölkerung hatte auch die Befürchtung, kein Geld mehr zu bekommen. Das hat man in den Nachrichten auch gesehen: Die langen Schlangen vor den Banken, weil alle Bargeld abheben wollten.
Wie hast du dich in den letzten Tagen vor deiner Ausreise gefühlt?
Sehr hilflos, weil keiner einschätzen konnte, ob und wie schnell die Lage noch dramatischer wird und wie sicher wir uns noch fühlen können. Vor Ort habe ich mich nie gefährdet gefühlt, es war eher die Angst, nicht mehr rauszukommen, die mir zu schaffen machte. Und auch Traurigkeit, dass ich das Auslandsjahr abbrechen musste. Es ist alles in so kurzer Zeit passiert, dass ich mich nicht mehr verabschieden und die Ereignisse gar nicht verarbeiten konnte.
Was war der ausschlaggebende Punkt, der dich zur Ausreise bewogen hat?
Am Freitag, einen Tag nach Ausbruch des Krieges, kam bereits eine Mail von der deutschen Uni, dass wir ausreisen sollen. Da habe ich bereits darüber nachgedacht. Hinzu kam, dass mir Familie und Freunde aus Deutschland geschrieben haben, dass sie sich Sorgen machen und wollen, dass ich zurückkommen. Am Samstag, zwei Tage nach Kriegsbeginn, habe ich für Montag einen Flug gebucht.
Wie lief deine Ausreise ab?
Ich hatte den Flug mit Lufthansa gebucht, weil ich vermutet hatte, dass russische Airlines nicht mehr fliegen dürfen. Aber auch Lufthansa hat alle Flüge aus Russland gestrichen. Ich wusste nicht so richtig, was ich machen soll. Schlussendlich bin ich in der Nacht zu Montag mit dem Bus nach Tallin in Estland gereist und von dort nach Frankfurt geflogen. Weil ich so nervös war, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Ich hatte Bedenken, dass der Flug auch abgesagt wird oder ich ihn verpasse. Als ich die Grenze zu Estland überquerte, war ich sehr beruhigt.
Wie geht es dir jetzt hier in Deutschland, wo du das Geschehen aus der Ferne verfolgen kannst?
Ich bin immer noch tief geschockt. Der Krieg ist schrecklich und ich möchte, dass er aufhört. Hier in Deutschland finde ich es schön zu sehen, wie viel Solidarität mit der Ukraine gezeigt wird. Das gibt mir Hoffnung. Andererseits habe ich die Befürchtung, dass eine gewisse Russophobie in Deutschland entstehen könnte. Das macht mich traurig, weil ich gesehen habe, dass die Menschen in Russland nicht für diesen Krieg sind. Die Feindseligkeit gegenüber der russischen Bevölkerung macht mich als Menschen, der an der Sprache und der Kultur interessiert ist, sehr traurig.
Würdest du in der Zukunft gerne nochmal nach Russland reisen?
Ich möchte auf jeden Fall wieder zurück. Ich finde, es kann keine Lösung sein, dass man einen kompletten Bruch mit einem anderen Land entstehen lässt.