Auf dem Königsweg : Prinz Harry und das Problem mit den "Spares"
In seinen Memoiren "Spare" spricht Prinz Harry ein wichtiges Thema an: die königlichen "Zweitbesetzungen". Auch andere Monarchien kennen das Problem
Prinz Harrys letzte Woche erschienene Memoiren haben, wie der Titel "Spare" oder auf deutsch "Reserve" schon vermuten ließ, ein großes, klagendes Leitmotiv: Wie schwer erträglich es sei, in einer Königsfamilie der Zweitgeborene, der Jüngere und damit erstmal nicht Erbberechtigte zu sein. Immer müsse man die zweite Geige spielen, Back-up sein als Lebenszweck, dazu geboren, um einzuspringen, falls dem Thronfolger etwas zustoßen sollte.
Man ist zwar königlichen Ranges, wird aber wahrscheinlich nie regieren. Zwar hat man fast genauso viele Privilegien, wie das ranghöhere Geschwisterkind, aber man wird genauso gnadenlos seiner Privatsphäre beraubt, steht im gleißenden Licht der Öffentlichkeit, obwohl man keine konkrete vorgezeichnete Rolle zu erfüllen hat und absehbar im Laufe seines Lebens mit der Geburt jeder weiteren Nichte und jedes weiteren Neffen in der Thronfolge immer weiter abrutschen wird.
"Spare": Prinz Harry über "Zweitbesetzungen"
Harrys Erinnerungen werfen ein weiteres Mal die Frage auf, ob man die Position der königlichen "Zweitbesetzungen" generell einmal überdenken sollte, bevor die nächste Generation – in der britischen Monarchie die beiden jüngeren Wales-Kinder Prinzessin Charlotte, sieben, und Prinz Louis, vier - das Erwachsenenalter erreicht. Denn das "Heir and Spare"-Prinzip, das einst in Zeiten hoher Kindersterblichkeit und Kriegsgefahr zur Sicherung der Erbfolge unabdingbar erschien, hat heute inhaltlich eigentlich ausgedient.STERN PAID Auf dem Königsweg Geburtstag Kate 10.44
Die renommierte britisch-amerikanische Journalistin und Royals-Biografin Tina Brown schlug unlängst in ihrem Buch "Palace Papers – Die Windsors, die Macht und die Wahrheit" als möglichen Ansatz vor, man könne die jüngeren Kinder von Monarchen schon früher "aus dem goldenen Käfig entlassen". Das würde bedeuten, man solle sie gar nicht erst auf spätere königliche Pflichten hin erziehen, sondern sie von Anfang an ermutigen, sich auf eine normale Karriere vorzubereiten. Dazu würde dann aber auch gehören, weder ihnen noch ihren künftigen Ehepartnern und Kindern Titel zu verleihen.
Dänemark macht's vor
Wie das gehen kann, haben die royalen Verwandten in Dänemark unter dem Motto "besser spät als nie" letztes Jahr vorgemacht: Königin Margrethe II. ließ im September offiziell verkünden, die vier Kinder ihres jüngeren Sohnes Prinz Joachim, bislang allesamt Prinzen und Prinzessinnen, würden per Dekret ab 1.1.2023 nur noch die von ihrem verstorbenen Prinzgemahl Henrik ererbten französischen Grafen- und Gräfinnentitel tragen.
Da sie alle absehbar niemals den Thron besteigen und auch zur Erfüllung repräsentativer Pflichten im Königreich Dänemark nicht benötigt würden, wolle sie ihren Enkeln durch den Entzug der royalen Titel die Chance auf ein normales Leben geben und eine unbehelligte berufliche Entwicklung ermöglichen. Die Betroffenen selbst reagierten weniger erleichtert, sondern vielmehr betroffen und verletzt, vor allem Prinz Joachims ältere Söhne, beide schon über 20 und unter den Namen Prinz Nikolai und Prinz Felix als Models international bekannt.
Richtig gut gelaufen ist es dagegen im Nachbarland Schweden bei den Bernadottes: Kronprinzessin Viktorias jüngerer Bruder Prinz Carl Philip, Herzog von Värmland durfte seine Titel zwar behalten. Der dreiundvierzigjährige Familienvater nimmt auch auf Wunsch seines Vaters König Carl Gustav jedes Jahr mal mit mal ohne seine Frau Sofia eine überschaubare Anzahl offizieller Verpflichtungen für die Krone wahr. Doch seinen Lebensunterhalt verdienst er sich komplett und skandalfrei bereits seit über zehn Jahren selbst: Damals hatte er mit einem Studienfreund die Designagentur Bernadotte & Kylberg gegründet. Nach einem Grafikdesign- und Marketing-Studium arbeitet er dort seitdem in Vollzeit als Geschäftsführer und Designer und ist sehr erfolgreich: Die Agentur zählt so traditionsreiche Marken wie Georg Jensen Silberwaren zu ihren Kunden. Für die schwedische Manufaktur Gustavsberg haben sie ein preisgekröntes Porzellan-Service entworfen. Und auch die dänische Edel-Haushaltswarenfirma Stelton und die deutsche Glasmarke Zwiesel gehören zu ihren Auftraggebern.
"Die Prinzessin und der Schamane"
Ebenso finanziell unabhängig aber deutlich weniger skandalfrei navigiert Carl Philips Cousine Prinzessin Märtha Louise von Norwegen, Schwester von Kronprinz Haakon, durch ihr Leben. Von dem zu Zeiten ihrer Geburt 1971 noch geltenden Prinzip der royalen Primogenitur (Vorrang der männlichen Thronfolge) auf den Platz hinter ihrem jüngeren Bruder verbannt, verzichtete sie schon vor gut 20 Jahren bei der Heirat mit dem bürgerlichen Schriftsteller Ari Behn auf ihren Titel "Königliche Hoheit" und auf jegliche finanzielle Unterstützung durch das Königshaus. 2019 Jahr musste sie dann auch noch zusagen, sich im Berufsleben nicht mehr ausdrücklich auf ihre königliche Herkunft zu beziehen. Die ausgebildete Physio-Therapeutin und langjährige Betreiberin eines von Kritikern gerne als "Engelsschule" bespöttelten esoterischen Therapiezentrums hatte zusammen mit ihrem aktulellen Verlobten Durek Verrett, einem selbsternannten Schamanen, esoterische Geistheiler-Workshops angeboten unter dem Titel "Die Prinzessin & der Schamane".
Diese Nutzung ihres Titels zu Marketing-Zwecken hatte in der norwegischen Öffentlichkeit für massiven Unmut gesorgt. Wenig beliebt haben sie und ihr zukünftiger Ehemann sich auch mit äußerst offenherzigen Instagram-Videos gemacht, in denen sie immer wieder intime Details aus ihrem Privatleben ausplaudern, nicht unähnlich den Enthüllungen in Prinz Harrys Memoiren. Auch wenn Märtha offiziell nicht mehr eine Repräsentantin des norwegischen Königshauses ist, bleibt sie doch die Tochter von König Harald. Sie steht, ob sie will oder nicht, im Licht der Öffentlichkeit und alles, was sie tut, fällt potentiell auch auf die königliche Familie Norwegens zurück.
Die Crux der Zweitgeborenen
Das ist die Crux der Zweitgeborenen: Ihrer Berühmtheit qua Geburt können sie kaum entfliehen. Und sie wachsen in Schlössern und Palästen auf, umgeben von Reichtum und Privilegien, auf die sie später in ihrem "normalen" Alltagsleben als Erwachsene nicht gerne verzichten wollen. Doch sich diesen Luxus-Lebensstandard selbst zu erarbeiten, ist meist schwierig oder gar unmöglich – nicht nur, aber auch, weil man durch Presse und Öffentlichkeit ungewollt derart im Fokus steht. Durch dieses Dilemma kommt es dann zu solch unguten Transaktionen von Geld und Gütern, wie beispielsweise zwischen Prinz Andrew und seinen diversen dubiosen reichen Gönnern, die sich über die Jahre wohl Einfluss und Ehren in Großbritanniens ersten Kreisen erhofft haben durch ihre "Geschenke".
Oder es kommt zum kompletten Bruch zwischen den Zweitgeborenen und ihrer königlichen Familie, weil sie sich den einschränkenden Regeln nicht unterordnen wollen, die ihnen die Ausübung einer einträglichen kommerziellen Tätigkeit bei gleichzeitigem Verbleib im Königshaus nicht gestatten - wie bei Harry und Meghan.
Dieses Problem ist nicht neu, und es wird auch nicht von selber verschwinden. Identifiziert und auch angegangen wurde es tatsächlich im britischen Königshaus bereits Anfang der 2000er Jahre. Damals gab es einen peinlichen Präzedenzfall bei den Windsors, der Schlagzeilen machte: Sophie Gräfin von Wessex, die nach der Heirat mit Prinz Edward 1999 mit dem Segen der verstorbenen Queen zunächst weiter als Geschäftsführerin ihrer eigenen PR-Agentur tätig gewesen war, wurde von dem inzwischen eingestellten britischen Boulevard-Blatt "News oft the World" dabei ertappt wie sie versuchte, Aufträge zu ergattern, indem sie mit ihren Kontakten zu den royalen Verwandten winkte. In der Folge musste die Gräfin ihre Anteile an der Agentur verkaufen und auch ihr Mann zog sich aus dem Geschäftsleben zurück; Edward hatte mit überschaubarem Erfolg einige Jahre in der Film- und Fernsehbranche gearbeitet. Fortan tat das Grafenpaar nur noch Dienst für die Krone, deren Lebensunterhalt finanzierte die königliche (Schwieger-) Mutter.
Mit Schadensbegrenzung ist es nicht mehr getan
Königin Elizabeth II. erkannte damals, dass es mit der Schadensbegrenzung in diesem einen Fall nicht getan war. In heutigen Zeiten, in denen die Monarchin oder aktuell König Charles nicht mehr noch wie zu Zeiten der Ur-Ahnin Queen Victoria ganz selbstverständlich für den Lebensunterhalt der kompletten königlichen Familie bis zur Nummer 20 oder 30 in der Thronfolge aufkommen, stellt sich immer häufiger die Frage nach einer angemessenen Berufstätigkeit für einzelne Mitglieder des Königshauses. Wegen des Wessex-PR-Desasters ordnete die Queen damals als Lehre daraus eine Untersuchung der existierenden Genehmigungsstrukturen für geschäftliche Aktivitäten ihrer Familienmitglieder an, sowie die Erstellung eines Katalogs mit Verhaltensregeln für die Firma Windsor.
Die sollten sicherstellen, dass berufstätige Royals ihren Status nicht ausnutzten, um sich zu bereichern. Wenn Mitglieder des Königshauses offizielle königliche Verpflichtungen wahrnahmen und parallel dazu einer beruflichen Laufbahn nachgingen, dürften beide Rollen nicht vermischt werden, so eine der Kernaussagen des "Luce Reports", benannt nach dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission, dem damaligen Lord Chamberlain, Lord Luce. Diese royalen Compliance-Regeln besagen unter anderem, dass jegliche kommerzielle Aktivitäten (anders als ehrenamtliches Engagement) immer im Einzelfall vom Lord Chamberlain genehmigt werden müssen.
Im Zweifelsfalle müsse der sich dagegen aussprechen, dass ein Mitglied des Königshauses eine Einladung zu einem offiziellen Engagement annimmt, das nicht vollständig von dessen geschäftlichen Aktivitäten getrennt werden kann. In den Leitlinien wird auch betont, dass nicht versucht werden darf, die Position, die Verbindungen oder den Zugang des Mitglieds der königlichen Familie absichtlich oder versehentlich für monetären Gewinn auszunutzen.
Herausforderung für moderne Monarchien
Das Regelwerk legt außerdem nahe, dass wiederum die Unternehmen, die Royals beschäftigen oder beauftragen, nachweisen müssen, dass sie nicht beabsichtigen, eine Vermischung der Aufgaben ihres blaublütigen Mitarbeiters mit dessen royalen Pflichten und Verbindungen zu dulden oder sogar absichtlich herbeizuführen.
Nicht zuletzt an diesem Regelwerk ist damals wohl eine Kompromisslösung für das Herzogspaar Sussex gescheitert, die ihnen einen teilweisen Verbleib in ihrer Position als Working Royals ermöglicht hätte; Harry und Meghan waren offenbar nicht bereit, sich in ihren geschäftlichen Vorhaben einschränken zu lassen, um diese Regeln einzuhalten. Deals wie mit Netflix oder dem Buchverlag Penguin Random House, der Harrys Memoiren herausgebracht hat, hätten sie dann nicht abschließen können.
Die Themen "Geld verdienen" und "angemessener Umgang mit dem eigenen Sonderstatus" für minder wichtige Mitglieder der königlichen Familien Europas bleibt eine große Herausforderung für moderne Monarchien im 21. Jahrhundert – und der einfühlsame Umgang innerhalb der Familien mit diesen Zweitgeborenen ebenfalls. Denn dass das Aufwachsen in der Rolle eines royalen Zweitgeborenen traurigerweise auch tiefe emotionale und psychische Spuren hinterlassen kann, wird aus der aktuellen königlichen Autobiografie überdeutlich.