TIROLER TAGESZEITUNG "Kommentar" Ausgabe vom Freitag, 13. Oktober 2023, von Karin Leitner: "Politikmüde sehen anders aus"
Othmar Karas hat gewusst, dass er den Parteioberen zuvorkommen muss – mit der Entscheidung in Sachen EU-Wahl. Er hat gewusst, dass ihn die ÖVP nicht mehr zu ihrem Spitzenkandidaten machen wird. Er wollte nicht auf diese Ankündigung warten.
Das Zerwürfnis zwischen ihm und seiner Partei gibt es seit Jahren. Die Konsequenzen daraus zog Karas nicht. Er blieb Mitglied, weil ein Parteiapparat halt auch von Vorteil ist. Zuletzt hat sich der Konflikt verschärft. Immer wieder hat Karas die Türkisen wegen ihres Kurses kritisiert, primär die Asylpolitik missfällt ihm. Auch jetzt beklagt er das Tun von Karl Nehammer und Co. „Scheindebatten“, etwa jene um das Bargeld, ortet er. Der ÖVP-Chef und die Seinen sind auch nicht mundfaul. Generalsekretär Christian Stocker qualifiziert Karas als Saboteur. Erleichtert ist Stocker wohl, dass Karas im Juni kommenden Jahres nicht kandidiert. Ein paar Prozenterl hätte er Nehammers Truppe mit einer eigenen EU-Liste gekostet.
Karas macht der ÖVP also keine Konkurrenz – vorerst. Dass der 65-Jährige nicht politikpensionswillig ist, war auch bei seiner gestrigen Pressekonferenz über den Dächern Wiens zu merken. Der erfahrene EU-Parlamentarier schließt weder aus, bei der Nationalratswahl – regulär im Herbst 2024 – noch bei der nächsten Bundespräsidentschaftswahl – 2028 – anzutreten. Die ÖVP hat also eine Karas-Verschnaufpause. Los ist sie den für sie Lästigen noch nicht.