Millionen-Boni: Wie wäre es mit einem Malus, liebe Bahn-Vorstände?
Die Vorstände der Deutschen Bahn erhalten für das Jahr 2022 nachträglich einen Bonus von insgesamt rund fünf Millionen Euro. Unverdient, findet unsere Autorin, und erklärt, wie es dazu kam
Das Erscheinungsbild der Deutschen Bahn ist verheerend: Verspätungen, Langsamfahrstrecken, Zugausfälle. Die Gründe sind hinlänglich bekannt: Züge und Schienen sind kaputt, Brücken marode, die Bahn hat zu wenig investiert seit Jahren. Ihre Gewinne erreichten in den letzten Jahren nie wieder das Niveau von 2012, zuletzt standen sogar Nettoverluste in den Büchern: 2022 allein 227 Millionen Euro. Die Schulden sind auf Rekordhoch. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Das Fazit dieser Aufzählung bliebe aber dasselbe: So schlimm wie heute war es noch nie – das räumen zerknirscht auch die Vorstände der Deutschen Bahn ein. Nur, sie selbst scheinen damit nichts zu tun haben zu wollen.
Denn wie sonst soll man als Bahnfahrerin und Steuerzahlerin verstehen, dass der gesamte Bahnvorstand nun fünf Millionen Euro nachträglich an Boni für das Jahr 2022 erhält (der stern berichtete). Ausgerechnet in der Zeit, in der der Rest Deutschlands streitet, wo gekürzt werden soll, um eine riesige Haushaltslücke zu schließen? Und da auch "Kleinstbeträge" von ein paar Millionen Euro für das Bürgergeld kein Tabu mehr sind. Gibt es hier womöglich Sparpotenzial, Herr Lindner?
Zugegeben, das Bahnspitzenpersonal wird vergleichsweise schlecht bezahlt. Allein der BMW-Vorstandschef verdiente 2022 mit zehn Millionen Euro mehr als der gesamte Bahnvorstand, der inklusive den jetzt nachträglich zur Auszahlung anstehenden Prämien auf knapp neun Millionen Euro kommt. Aber das ist kein Argument. Denn anders als beim BMW-Chef gab es bei der Bahn keine Leistungen, die es zu prämieren galt.
Die Deutsche Bahn gewichtet ihre Ziele falsch
Ein Blick in den Vergütungskatalog entlarvt das Grundproblem: Die Boni sind falsch gewichtet, die Ziele zu unambitioniert und die Prämien zu großzügig. So sind zwar Kundenzufriedenheit und Pünktlichkeit Teil der selbstgesteckten Ziele. Aber weh tut es keinem Vorstand, wenn die Züge notorisch unpünktlich und die Bahnkunden dauergestresst sind. Einzige Konsequenz: null Euro Bonus in dieser Kategorie. Besser wäre ein Malus. Der ist prinzipiell möglich, der Bahn-Konzern erwähnt die Möglichkeit eines Gehaltsabzugs sogar selbst in ihrem Vergütungsbericht, ohne konkreter zu werden. Doch daran hat sich in Deutschland noch kein börsennotiertes Unternehmen gewagt.
So aber wird das schlechte Abschneiden im Kerngeschäft der Bahn locker kompensiert durch Bereiche, in denen das Unternehmen auch nicht überragt, aber immerhin minimale Verbesserungen zu sehen sind. Beispiel: Der Anteil von Frauen in Führungspositionen stieg 2022 laut Recherchen von NDR, WDR und SZ auf 27 Prozent, ein Prozentpunkt über der selbst gesetzten Marke. Das bescherte den Bahnvorständen nach internen Unterlagen 200 Prozent der Prämie für diesen Bereich.
Vollends grotesk wird es, wenn der frühere Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla eine Prämie von 85.333 Euro erhält, weil er den "Ausbau von Netz und Infrastruktur" übererfüllt hat. Erfolgsquote: 200 Prozent. Lachen kann da allenfalls noch die Bahn selbst. Denn ausgerechnet 2022 hat der Konzern erstmals eingeräumt, dass der Zustand der Infrastruktur miserabel sei und sie dies jahrelang verschleiert habe. Die seit 2008 jährlich von der Bahn erstellten Infrastrukturzustandsberichte berichteten bis dahin stets von einem soliden Zustand der Infrastruktur. Das Eisenbahnbundesamt prüfte die Berichte und nahm sie ab. Auch im Bundesverkehrsministerium wurden nie Probleme erkannt oder öffentlich benannt – obwohl Verschleiß und Verfall nicht zu übersehen waren für jeden, der die Bahn nutzte.
STERN PAID 26_23 Titel Bahn Interview Huber 6.30
Laut Aktienrecht haften bei Pflichtverletzungen die Organe einer Aktiengesellschaft, Vorstand und Aufsichtsrat, persönlich. "Der Verfall der Infrastruktur stellt für die Bahn AG ein existenzbedrohendes Risiko dar, über das der Vorstand den Aufsichtsrat zu informieren und Gegenmaßnahmen zu entwickeln hätte", urteilt Bahnkritiker Christian Böttger, der an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft lehrt.
Dass die Top-Manager der Bahn nun einen Bonus erhalten statt auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten, geht auf die Kappe des Eigentümers: Das ist zu 100 Prozent der Bund. Seine Vertreter im Aufsichtsrat haben die Boni durchgewunken – wohl auch, weil sie wissen, dass sie Mitschuld haben am Zustand der Bahn.
Dieser Kommentar erschien zuerst an dieser Stelle beim Wirtschaftsmagazin "Capital", das wie der stern zu RTL Deutschland gehört.