Internationale Filmfestspiele: Warum gibt es kein Popcorn im Kino? 5 Dinge, die ich auf der Berlinale einfach nicht verstehe
Für manch einen ist die Berlinale das bedeutendste Event des Jahres. Ich bin zum ersten Mal da. Und ich habe Fragen.
1. Wofür stehen die Leute ständig an?
Es ist Donnerstag, der offizielle Beginn der Berlinale. Vor einer Ausfahrt des Hyatt Hotels hat sich eine Menschenmasse in Form einer Schlange versammelt. Ich sehe gezückte Handys, also stelle ich mich dazu. "Wofür stehen Sie an?", frage ich den Mann neben mir. "Weiß ich auch nicht", sagt er und lächelt verschämt. "Wofür stehen Sie an?", frage ich die Frau vor mir, die ein Handy in die Höhe hält. "Ich weiß es nicht genau", sagt sie und lacht. "Da werden wohl gleich Promis herauskommen." "Wofür stehen die an?", frage ich einen Polizisten hinter mir. "Keine Ahnung", sagt er. "Ich mache hier nur meinen Job." "Wofür stehen die an?", fragt er seinen Kollegen. Der zuckt mit den Schultern. "Irgendwelche Promis."
Wenige Sekunden später fahren mehrere Autos mit verdunkelten Scheiben im Schritt-Tempo aus der Einfahrt und an der Schlange vorbei. Wie auf einen geheimen Befehl strecken sich alle Hände samt Handys gleichzeitig in die Luft. Mit zusammengekniffenen Augen gucke ich angestrengt durch eine der Scheiben. Ich sehe rein gar nichts. Dahinter könnte auch ein Schimpanse sitzen. Oder ein Promi, der genau in diesem Moment meinen Blick erwidert und mich auslacht.
2. Warum darf ich kein Popcorn essen?
Schon als ich das Berlinale-Kino betrete, weht mir der vertraute Duft süßen Popcorns entgegen. Ich folge dem Geruch bis an die Theke. Dort höre ich die Worte, die mich noch lange verfolgen werden: "Während der Berlinale-Vorstellungen dürfen Sie kein Popcorn essen." Ich habe an diesem Tag noch nichts gegessen. Alles, was ich will, ist Popcorn. Ich starre den Mann hinter der Theke an, weil ich es nicht fassen kann. Popcorn gehört für mich ins Kino wie die Leinwand. "Warum darf ich kein Popcorn essen?", frage ich und klinge dabei wahrscheinlich wie ein fünfjähriges Kind. Der Mann hinter der Theke setzt ein versteinertes Lächeln auf. Dann sagt er einen Satz, den er für Härtefälle wie mich auswendig gelernt haben muss: "Wenn Sie möchten, dürfen Sie das Popcorn sehr gerne vor unseren Vorführungen in der Eingangshalle genießen."
Ich möchte das Popcorn nicht vor den Vorführungen in der Eingangshalle genießen. Da kann ich mich auch gleich in den City-Rewe vor die Tiefkühltruhen stellen und es da zu mir nehmen. Also kein Popcorn. Im Cinemaxx können Besucher es im Gegensatz zum Zoo-Palast nicht mal in der Eingangshalle genießen. Da sind die Popcornmaschinen gleich ganz außer Kraft gesetzt. Welch bitterer Verlust für die Popcorn-Industrie.
Kurz ärgere ich mich, dass ich mir nicht selber Popcorn mitgebracht habe. Dann lese ich, dass schon 2006 Sänger Herbert Grönemeyer auf die gleiche Idee kam. Er erschien zur Berlinale mit einer Familienpackung Popcorn in den Armen. "Ein Affront", war man sich damals einig. Fettgeruch und "Knurpsgeräusche" würden stören, sagte der ehemalige Berlinale-Leiter Dieter Kosslick. Ihm ist offenbar entgangen, dass sich der köstliche Duft längst in den Wänden festgesetzt hat. Auch ohne Popcorn wabert der Geruch durch die Kinos. Oder er stammt von Grönemeyer, der sich mit seiner Familienportion im Saal versteckt hat, bemüht, sie ohne Knurpsgeräusche zu verzehren.
3. Wo ist der Berliner Style geblieben?
Viele Berliner sehen im Alltag entweder so aus, als hätten Sie sich stundenlang mit ihrem Outfit beschäftigt oder so, als hätten sie sich stundenlang mit ihrem Outfit beschäftigt, aber wollten so wirken, als hätten sie sich gar nicht damit beschäftigt oder so, als hätten sie sich wirklich gar nicht damit beschäftigt. Wie sie es auch handhaben: Aus irgendeinem Grund wirken die Passanten immer ein bisschen lässiger als in anderen Städten. Auf der Berlinale, der vermeintlichen Glamour-Veranstaltung, ist davon außerhalb des roten Teppichs nicht viel übrig.
Jeder Pressevertreter oder andere sehr wichtige Person hängt sich gut sichtbar, fast stolz, den Berlinale-Ausweis, auf dem das eigene Antlitz prangt, an einem Band um den Hals. Manche Männer kombinieren die baumelnde Karte zu einem Anzug und sehen damit aus wie Teilnehmer eines Führungskräfteseminars in Eisenhüttenstadt. Es wäre noch nachvollziehbar, würden sie nur durch die Kinos und Veranstaltungen so laufen, aber nein: Man trägt sein Gesicht um den Hals auch auf der Straße, auch im Café, auch in der U-Bahn. Soll ja jeder sehen, wer auf die Berlinale geht.
Die Karte um den Hals hat natürlich auch Vorteile, das leuchtet mir ein. Man vergisst sie nicht, sie hängt schließlich in Bauchnabelhöhe wie das Portmonee eines Grundschulkinds. Man kann sie mit lässiger Handbewegung hochhalten, wenn man schwungvollen Schrittes in das nächste Kino schreitet. Jeder weiß, wie man heißt, und welches Foto man von sich okay genug fand, um es auf eine Karte drucken zu lassen, die man sich umhängt und erst zum Schlafengehen wieder ablegt. Letzteres hoffe ich jedenfalls. Nicht zu vergessen, hüpft die Karte aufgeregt mit, wenn man zum nächsten Termin eilt.
Ich krame sie trotzdem jedes Mal aus den Tiefen meiner Tasche hervor und stelle die auf alles vorbereitet behängten Menschen hinter mir auf eine Geduldsprobe. Zum Glück kann mir niemand vom Bauch ablesen, wie ich heiße. Bei dem Journalisten, der im Kino eingeschlafen ist und selig schnarcht, ist das anders: Sein Name hängt ihm um den Hals und bewegt sich bei jedem Schnarcher langsam auf und ab.
4. Warum sind alle so streng?
Einige Berlinale-Besucher laufen mit derart verbissenen Mienen durch die Gegend, man könnte meinen, es fände heute nicht ein Filmfestival, sondern der G7-Gipfel statt. Die Berlinale, wird mir schnell klar, nimmt sich sehr ernst. Für Berliner Verhältnisse ist sie, zumindest tagsüber, ungewöhnlich streng. Berliner Flughäfen oder Schulen sollten darüber nachdenken, die Organisatoren der Berlinale abzuwerben.
Nicht genug damit, dass Popcornessen verboten ist: Wer eine Minute zu spät kommt, wird nicht mehr in den Kinosaal gelassen. Wer mehr als zwei Kinofilme zu spät storniert, kann gesperrt und in gar keinen Film mehr gelassen werden. Wer sich nicht rechtzeitig morgens vor den Laptop setzt und auf der Berlinale-Seite einloggt, sitzt vor ausverkauften Tickets. Auch Journalisten müssen sich für jeden Film um ein neues Ticket bemühen. Das ist zwar in dem Eintrittspreis von 70 Euro inbegriffen, aber wer zu langsam ist, hat Pech gehabt.
Dieses Denken scheint manchen Besuchern in Fleisch und Blut überzugehen. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein Kameramann sich am roten Teppich in Eile umdreht und einem die Kamera gegen den Kopf rammt. Oder die PR-Frau einen mit hektischen, wegwerfenden Handbewegungen verscheucht wie ein Insekt, damit man bloß nicht auf den Fotos des Promi-Schützlings zu sehen ist. Oder verzweifelte Besucher einen fragen, wo ein beliebiger Film läuft, man zu lange für die Antwort braucht und sie wortlos davonrennen.
5. Wer sind diese Promis?
Ich stehe neben anderen Journalisten am roten Teppich einer Berlinale-Party. Ein Promi nach dem anderen schreitet herbei und posiert vor der mit Werbelogos bedruckten Wand. Die Kameras klicken im Rekord-Takt. "Hier, hier, guck mal hier!" "Leg mal eine Hand auf den schwangeren Bauch! Toll!" "Schau mal über die Schulter! Sexy, bleib so, bleib so!" Zwei Stunden später stehen wir immer noch da. Es scheint mit den Promis in dieser Nacht wie mit dem Märchen von dem sich selbstauffüllenden Topf zu sein. Immer wenn ich denke, jetzt ist es vorbei, jetzt ist es geschafft, tauchen wie aus dem Nichts zehn weitere Promis auf.
Je später der Abend, desto wichtiger die Gäste - kann ich nicht bestätigen. Noch eine weitere Stunde später stolziert eine Gruppe von Frauen über den Teppich, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Die Kameras beginnen wieder zu klicken. "Schaut hierher, hierher!" Auch eine Journalistin neben mir zückt ihr Handy für Fotos. "Sag mal", sage ich zögernd. "Wer sind die denn?" "Keine Ahnung. Kenne die alle nicht", sagt die Frau. "Aber könnten ja wichtig sein." Es folgen junge Männer in knalligen Anzügen, die mir nicht im Entferntesten bekannt vorkommen. Die andere Journalistin lässt das Handy sinken. "Ich gehe nach Hause."