"Kleine Feuer": Neues Album von Paula Hartmann: Warum Liebe in der Großstadt scheitert
Mit ihrem neuen Album „Kleine Feuer“ feiert Sängerin Paula Hartmann Charterfolge. Die 22-jährige Berlinerin rappt über die Unerreichbarkeit der Liebe. Was ihre Songs über die Gefühlswelt in der Metropole verraten
„Die Liebe ist tot“, singt Paula Hartmann. Der Satz knallt. Existentielle Endgültigkeit. Ihre Worte erinnern an Nietzsches berühmten Satz „Gott ist tot“. Und genauso desillusioniert wie Nietzsche wirkt auch Hartmann, so entzaubert blickt sie auf Berlin, auf die Lebensgefühle junger Hauptstadtmenschen. Wo die Liebe nie erfüllt, sondern immer schmerzt.
„Kleine Feuer“ ist ein Großstadtporträt mit Gefühlsthermometer. Es ist das zweite Album von Hartmann, ein Mix aus Hip-Hop und Pop: wortgewaltig, bildstark und basslastig. Kaum erschienen, schon feiert Hartmann Platz zwei der deutschen Albumcharts. „Kleine Feuer“ ist eine düstere Reise durch Berliner Nächte, irgendwo zwischen Kantstraße und Wittenbergplatz, irgendwann zwischen 2 und 5 Uhr. Kurz vor dem Morgengrauen, wenn die Party endet – und die Leere beginnt.
Paula Hartmann zwischen Romantik und Realität
Schon in ihrem ersten Album „Nie verliebt (und andere Gute-Nacht-Geschichten)“ ging es um das Leben in der Großstadt. Und ums Erwachsenwerden. Es erschien 2022, das Cover sieht aus wie eine gemalte Kinderkassette: ein gleißender Lichtstrahl, ein kleines Mädchen, die Schürze des Kleides zum Himmel geöffnet. Sternentaler regnen herab in ihren Schoß. Es ist ein bekanntes Motiv aus dem Grimm-Märchen. So lebensglücklich das Cover aussieht, so melancholisch klingt die Musik. Schon mit diesem Debütalbum wurde klar: Hartmann seziert das Spannungsfeld zwischen Romantik und Realität.
Schauplatz ihrer Songs ist auf beiden Alben die Metropole, fast immer der Westen der Hauptstadt, Berlin-Charlottenburg – Hartmanns Heimat. 2001 geboren, 2009 ihr Kinodebüt. Hartmann arbeitet neben der Schule als Schauspielerin, dreht mit Matthias Schweighöfer, ist im „Tatort“ und dem „Traumschiff“ zu sehen. Sie zieht von Berlin nach Hamburg, konzentriert sich auf die Musik. Mit gerade mal 20 Jahren veröffentlicht sie ihr erstes Album. Mal haucht sie ins Mikrofon, klingt verletzlich-intim – im nächsten Moment rappt Hartmann perfekt getexte Zeilen wie: „Füße auf dem Sitz, S-Bahn Fensterplatz / Bin Club-Mate-wach, verstrahlt wie 'n Sendemast.“
"Wir sind alle Psychos. Machen auf gefühllos, aber wollen Liebe"
Auf ihrem ersten Album sang Hartmann noch, dass sie „nie verliebt“ gewesen sei, jetzt verkündet sie: „Bin verliebt. Doch weiß, das verfliegt.“ Es klingt, als müsse sie sich selbst beruhigen. Als wären ihre Gefühle wie eine Erkältung: unvermeidbar, aber gottseidank vergänglich. Diese eingepreiste Flüchtigkeit durchzieht alle Emotionen des Albums; die Euphorie der Partynacht, das Flirren des Verliebens. Immer ist sich Hartmann hyperbewusst, dass die Nacht dem Morgen weichen wird, dass die On-Off-Beziehung bald wieder zersplittert. Hier gibt es Gefühle nur mit Ablaufdatum.
Es erzeugt Schwere, das Ende am Anfang immer schon mitzufühlen. Vor diesem Übermaß an Schwere will Hartmann flüchten. Und die Hoffnung, ja, die Sehnsucht nach Verbundenheit glimmt noch in ihr. „Wir sind alle Psychos, ihr nur Spiegel. Machen auf gefühllos, aber wollen Liebe“, attestiert sie sich und ihrem Umfeld, weil Liebesbedürftigkeit eben nicht zu den coolen Gefühlen zählt, die man lässig gern offenbart. „Ich will feiern, heißt, ich fühle mich alleine“, rappt Hartmann. Die Einsamkeit mit Gesellschaft bekämpfen, den Schmerz mit Drogen betäuben.
© Jeremy Moeller
Überdosis oder Taubheit
„Sieben Mädchen aufm Klo in 'ner Bar in Westend. Minirock, und meine Freunde ziehen Kreide“, singt sie auf dem brillianten Song „7 Mädchen“. Eine gehe gleich noch für Tinder weg, heißt es weiter. „Eine landet später noch auf der Trage. Keiner wird sie besuchen.“ Auch hier betont Hartmann wieder die Flüchtigkeit der namenlosen Begegnung, mit der alles möglich scheint, aber die zu nichts verpflichtet. Eine oberflächliche Verbindung, so künstlich wie das Koks, das sie ziehen.
Im Berliner Morgengrauen, als der Bus sie „aufwischt“, wird ihr klar: zurück bleibt nur Leere. „Da ist so viel, das so wenig bedeutet“, singt Hartmann. „Ich kann gar nichts fühlen grad.“ Ein Leben zwischen zwei Extremen: Überdosis oder Taubheit.
Hartmann ist eine obsessive Beobachterin, jeder Gedanke, jedes Gefühl weiß sie zu verorten. Damit entspricht sie dem gegenwärtigen Ideal der Achtsamkeitsbewegung: Selbstreflektion in Endlosschleife. „Berliner Luft in den Haar'n morgens um halb vier. Ich tu niemand weh, ich will doch nur spiel'n (oh, oh)“, singt sie an einer Stelle. Aber spielen klappt nicht. Und das ist vielleicht auch die Folge des allzu hyperreflektierten Umgangs mit Gefühlen: Er fördert Kontrolle, aber kostet Leichtigkeit. Oder wie Hartmann es selbst neulich in einem Videointerview sagte: „Es ist dem Zugang zur Liebe nicht nur zuträglich, dass man sich so in Schmerz hineingibt und ihn beschreibt, anstatt ihn zu verdrängen. Vielleicht wäre das manchmal besser.“