Deutschland will 2036 die Olympischen Sommerspiele ausrichten. Lohnt sich das trotz hoher Kosten? Sportmanager und IOC-Mitglied Michael Mronz meint: unbedingt. Sportstars, Rekorde, die ganze Welt zu Gast: Deutschland möchte sich um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2036 bewerben. Berlin, Hamburg und München sowie die Region Rhein/Ruhr sind die Kandidaten. Am 26. September 2026 will der Deutsche Olympische Sportbund den Sieger küren, der dann ins internationale Rennen geht. Doch die globale Konkurrenz ist stark, und Kritiker bezweifeln den Sinn der Mega-Sportevents. Michael Mronz sitzt als einer von zwei Deutschen im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und kann über die Vergabe der Spiele mitbestimmen. Im Interview mit t-online erklärt er, was Deutschland von der Ausrichtung hätte – und warum sich diese trotz hoher Kosten auszahlen kann. t-online: Herr Mronz, seit München 1972 hat Deutschland sieben Mal versucht, Olympische Spiele auszurichten – und ist jedes Mal gescheitert. Warum sollte die Bewerbung diesmal erfolgreich sein? Michael Mronz: Wir haben aus allen bisherigen Bewerbungen gelernt – aus den gescheiterten deutschen und aus den erfolgreichen internationalen Bewerbungen. Als IOC-Mitglied bringe ich dieses Wissen früh in den Prozess ein. Unser Ziel ist nicht: "Dabei sein ist alles", sondern: ein Angebot zu machen, das im internationalen Wettbewerb wirklich gewinnen kann. In der ursprünglichen Bewerbungsidee war geplant, die Wettkämpfe über mehrere deutsche Städte zu verteilen. Stattdessen werden nun vier Kandidaten – Berlin, Hamburg, München und die Rhein/Ruhr-Region – in einen teuren Wettbewerb geschickt. Ist das nicht Geldverschwendung? Das IOC setzt seit seiner Agenda 2020 klar auf nachhaltige, aber auch kompakte Spiele. Der Erfolg von Paris hat gezeigt: Dezentral verteilte Spiele sind kaum konkurrenzfähig. Entscheidend ist ein starkes Zentrum mit einem Olympischen und Paralympischen Dorf, in dem möglichst viele Athletinnen und Athleten zusammenwohnen. Das erzeugt die besondere Atmosphäre der Spiele – und es zeigt, wie in einer Welt voller Konflikte friedliches Zusammenleben funktioniert. Aber warum setzt man dann nicht von Anfang an auf den aussichtsreichsten Kandidaten und macht diesen möglichst stark, statt in einem monatelangen Wettlauf viel Geld zu verpulvern? Allein das Münchner Olympia-Referendum hat 4,6 Millionen Euro gekostet. Für den gesamten Bewerbungsprozess hat die Stadt 8 Millionen veranschlagt. In Berlin sind es 6 Millionen, in Hamburg 17 Millionen einschließlich Personalkosten. Man muss unterscheiden: Es gibt Bewerbungskosten – Konzepte, Marketing, Personal – und Demokratiekosten. Wenn eine Stadt wie München ein Referendum durchführt, findet das niemand skandalös, wenn es um eine Flughafen-Startbahn geht. Bei Olympia werden dieselben Kosten plötzlich als "Geldverschwendung" geschmäht. Ich sehe es anders: Bürgerentscheide stärken die Legitimation eines Projekts. Und im Vergleich zu früher sind die reinen Bewerbungskosten durch IOC-Reformen drastisch gesunken. Trotzdem kostet jeder Konkurrenzentwurf Millionen. Wäre es nicht billiger, sich früh auf eine Stadt zu einigen? Wettbewerb macht die Konzepte besser. Das ist wie im Sport: Wenn ich die 100 Meter allein laufe, erreiche ich keine Bestzeit. Erst wenn ich gegen Konkurrenten antrete, gebe ich alles. Wie werden die Konzepte der Bewerberstädte konkret verbessert? Ein Beispiel: Die Berliner Bewerbung plante die Rugby-Spiele zunächst im Jahn-Stadion. Wir haben angeregt, zu prüfen, ob nicht das Olympiastadion sinnvoller wäre. Das Ergebnis: Die Stadt muss eine Spielstätte weniger vorsehen und kann in dem größeren Stadion zugleich mehr Zuschauer einplanen. Unterm Strich bedeutet das zig Millionen Euro Einsparung und höhere Ticket-Erlöse. Solche Optimierungen entstehen nur, wenn Konzepte miteinander im Wettbewerb stehen. Nach welchen Kriterien entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund am Ende, welche deutsche Stadt er ins internationale Rennen schickt? Es gibt eine transparente Bewertungsmatrix: Entfernungen zwischen Athletendorf und Wettkampfstätten, Größe und Auslastung der Arenen, das Organisationsbudget, Nachhaltigkeit, Verkehrs- und Sicherheitskonzepte – und natürlich die Ergebnisse der Bürgerbefragungen. Die olympischen Fachverbände bewerten all das. Eine Evaluierungskommission mit Vertretern aus Politik, DOSB und Spitzensport kontrolliert den Prozess und kann eine Empfehlung für die Mitgliederversammlung aussprechen, die dann am 26. September 2026 endgültig entscheidet. Die Ausrichtungskosten sind noch viel höher als jene für die Bewerbung. Paris hat 2024 rund zehn Milliarden Euro für die Sommerspiele ausgegeben. Warum soll sich ein mittlerweile hoch verschuldetes Land wie Deutschland ein solch teures Sportevent leisten? Man muss sehr genau trennen. Erstens das Organisationsbudget: Das lag in Paris bei rund 4,5 Milliarden Euro. Das IOC hat etwa 1,5 Milliarden beigesteuert, der Rest kam aus Ticketverkauf, nationalen Sponsoren, Medienrechten. Die Spiele selbst wurden zu 98 Prozent privat finanziert und haben am Ende sogar einen Überschuss erwirtschaftet. Zweitens gibt es Investitionen, die durch die Spiele ausgelöst, aber nicht nur für sie getätigt werden – etwa das Olympische Dorf, das später zu Wohnraum umgewandelt wird, oder Infrastrukturprojekte wie in Paris die Rekultivierung des Flusses Seine. Das sind politische Entscheidungen, die eine Stadt ohnehin irgendwann treffen muss. Die Spiele beschleunigen sie aber, weil sie ein fixes Zieldatum setzen. International ist die Konkurrenz groß: Katar, Indien, Indonesien und die Türkei mit Istanbul bewerben sich ebenfalls für die Spiele 2036 und machen geltend, dass ihre Weltregionen noch nie Olympia ausrichten durften. Auch Budapest und Oberitalien liebäugeln mit einer Bewerbung. Warum sollte das IOC am Ende ausgerechnet Deutschland den Zuschlag geben? Weil Deutschland einiges mitbringt, was im Weltsport hochgeschätzt wird: Rechtsstaatlichkeit, Vertragstreue, 80 Jahre Frieden und großes Talent im Umgang mit Mega-Events. Entscheidend wird aber sein, ob wir mit einer Stimme auftreten: Sport, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das IOC vergibt die Spiele nicht an eine Stadt, sondern geht eine Art "Ehe auf Zeit" mit einem ganzen Land ein. Dafür braucht es Vertrauen – und das müssen wir uns nach innen wie außen erarbeiten. Viele Menschen misstrauen Großprojekten, auch wegen des Baudebakels bei Stuttgart 21 oder dem Flughafen BER . Was hätte Deutschland von Olympischen Spielen außer einem gigantischen Organisationsaufwand? Wir hätten die Chance, Deutschland durch Olympia fitter zu machen – nicht nur für Olympia. Wir sind ein Land mit vielen Ideen, aber schwacher Umsetzung. Spiele bringen ein nicht verschiebbares Datum mit sich. Warum sagen wir nicht: Wenn die Welt bei uns zu Gast ist, werden wir das digitalste Land Europas sein? Die volle Digitalisierung des Schienenverkehrs allein könnte 20 Prozent mehr Verkehr auf die Gleise bringen – ohne einen zusätzlichen Kilometer zu bauen, aber mit verbesserter Pünktlichkeit. Mit starken Partnern aus der Wirtschaft – von Software über Telekommunikation bis Logistik und Automobilindustrie – könnten wir so ein Zielbild gemeinsam erreichen. Digitalisierung ist nicht gerade ein Thema, dessentwegen Leute aus dem Häuschen geraten. Emotionen entstehen, wenn Menschen erleben, was sich konkret verbessert. Vor der Fußball-WM 2006 hätte niemand geglaubt, dass Deutschland entspannt mit seiner Landesflagge umgehen kann. Dann war plötzlich kein Außenspiegel mehr sicher – das Sommermärchen hat das Land zum Positiven verändert. Ähnlich können Olympische Spiele einen Stimmungsumschwung bewirken: Wenn Städte wie München oder Barcelona heute so attraktiv wirken, liegt das zu einem guten Teil an den Spielen 1972 und 1992 – an neuer Infrastruktur, neuen Quartieren, neuer Offenheit. Was genau soll Deutschland also ausrichten: ein gigantisches Volksfest? Oder ein Nachhaltigkeitsprojekt? Oder ein Konjunkturprogramm? Im Idealfall von allem etwas. Der Weg dorthin ist genauso wertvoll wie die drei Wochen der Spiele. Wenn wir es schaffen, Leistungsbereitschaft, Gemeinsinn und den Mut zu großen Projekten wieder stärker ins Zentrum der Gesellschaft zu rücken, hätten wir schon viel gewonnen. Außerdem wollen wir stolze Gastgeber sein – nicht ein Land, über dessen verspätete Bahn sich Medien aus aller Welt lustig machen. Was treibt Sie persönlich an, die deutsche Bewerbung so stark zu unterstützen? Ich habe in meinem Leben Erfolg, aber auch schwere Schicksalsschläge erlebt. Das macht demütig – und es verstärkt den Wunsch, die eigene Lebenszeit zu nutzen. Sport ist für mich im eigenen Land eine wichtige soziale Achse der Gesellschaft und international ein Brückenbauer. Als die verfeindeten Staaten Nord- und Südkorea bei den Spielen 2018 unter einer Flagge einmarschierten, zeigte das die Kraft des Sports. Daran mitzuarbeiten, dass Deutschland diese Kraft glaubwürdig verkörpert, motiviert mich enorm. Und falls Deutschland am Ende doch nicht den Zuschlag bekommt – wäre die Bewerbung dann für die Katz gewesen? Für den Sport ist sie schon jetzt ein Erfolg. Wir sehen, dass Bund und Länder wieder massiv in Sportstätten investieren, dass Programme zur Prävention und Integration gestärkt werden. Sport ist keine "Kann-Investition" mehr, sondern eine "Muss-Investition" in das soziale Gefüge und die Gesundheit unseres Landes. Aber klar: Wir treten an, um zu gewinnen – nicht, um ehrenvoll auszuscheiden. Herr Mronz, vielen Dank für das Gespräch.