Stern-Chefredakteur: Gregor Peter Schmitz über den Tod von Alexej Nawalny – und die Angst der Despoten vor Humor
Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick in den aktuellen stern. Der widmet sich der Sicherheit Europas und dem Erbe von Alexej Nawalny.
Können Sie sich vorstellen, dass Wladimir Putin Humor hat? Dass er Witze versteht, vielleicht gar über sich selbst lacht? Ich kann mir das nicht vorstellen. Alexej Nawalny zeigte viel Humor, sogar nachdem er beinahe durch Gift zu Tode gekommen wäre, selbst nachdem er (von ebenjenem Herrn Putin) am russischen Polarkreis in eine winzige Zelle gesperrt worden war, ganz allein. Nawalny hat gewitzelt, das Attentat habe er wohl nur überlebt, weil korrupte FSB-Agenten das vorgesehene Nervengift gestreckt und den Rest auf dem Schwarzmarkt verhökert hätten. Auch bei seiner letzten Vernehmung vor Gericht, einer Justizfarce natürlich, hat Nawalny noch mit dem Richter gescherzt.
Die ungewöhnliche Lebensgeschichte des Alexej Nawalny
"Der Witz ist ein Phänomen der Befreiung", sagt die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, denn gerade im Unglück sei der Humor so wichtig. Deswegen gebe es etwa so viele – und oft so drastische – jüdische Witze; sie speisten sich aus der Katastrophe. Das Lachen sei eine Art von innerer Befreiung und eine Art von Einordnung, und darum seien Witze subversiv, so Müller. Deshalb gilt weltweit und für immer: Diktatoren haben am meisten Angst vor Humor, vor Witzen, vor der Lustigkeit, die sich aus Trauer speist. Der Putin-Gegner Nawalny hat all dies verkörpert, und ich wünsche mir so sehr, dass Putin weiter Angst haben muss, jeden Tag. Und dass alle, die nun um Nawalny trauern, irgendwann wieder lachen können, weil Liebe immer stärker ist als Putin. In unserer Titelgeschichte zeichnet unsere Russland-Expertin Bettina Sengling die ungewöhnliche Lebensgeschichte des Alexej Nawalny nach, die auch die Chronik eines angekündigten Todes ist.
STERN PAID 09_24 Titel Nawalny12:30
Nach dem Mord an Nawalny wirkt Putins Macht nach innen absolut. Zugleich wird noch klarer, dass es für ihn keinen Weg zurück in die Weltgemeinschaft gibt. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz, die Putin früher besucht hatte und die am Wochenende stattfand, ist er als Gast nicht mehr denkbar. Wir werden uns auf weitere Jahre des sehr kalten Krieges einstellen müssen. Und uns mit der Frage beschäftigen, wie wir unsere europäische Sicherheitsarchitektur auch aufgrund amerikanischer Unzuverlässigkeit neu aufstellen, bis hin vielleicht zur europäischen (oder gar deutschen) Atombombe. Der Harvard-Professor und Nuklearexperte Graham Allison sagte meinem Kollegen Steffen Gassel: "Atomwaffen stellen einen bedeutsamen Schutz gegen eine ernsthafte Bedrohung dar." Und: "Warum sollte ich mich nur mit einem Messer bewaffnet auf eine Schießerei einlassen?".
Ein Podcast mit radikalem Gedankengut
Unser Text auf stern.de über den Podcast "Hoss und Hopf", den wir unter der Schlagzeile: "Einer der erfolgreichsten Podcasts impft unsere Kinder mit radikalem Gedankengut – und keiner kriegt's mit" veröffentlichten, hat ein riesiges Echo hervorgerufen. Viele Leserinnen und Leser haben ihre Kinder wiedererkannt, viele Medien haben Bericht erstattet. Im Zuge unserer Veröffentlichung hat die Videoplattform Tiktok einen der größten Kanäle zum Podcast gesperrt. Eine weitere Folge: Eine der umstrittenen Episoden wurde von den Plattformen Youtube, Spotify und Apple gelöscht.
Der Text ist von einer Mutter verfasst, die ihren echten Namen nicht nennen wollte. Manche fragten daher: Warum schreibt eine Journalistin unter Pseudonym? Es gibt mehrere Gründe: Die Autorin will sich und ihre Familie keinen öffentlichen Anfeindungen aussetzen, die nicht ausblieben. Zudem ist ihr wichtig, das Persönlichkeitsrecht ihres minderjährigen Sohnes zu wahren. Der Text ist mehrfach durch unser Verifikationsteam gegangen. Die Podcast-Macher wurden mit den Beobachtungen konfrontiert und hatten die Gelegenheit, sich zu äußern. Aber bilden Sie sich gern selbst ein Urteil.
In einer Video-Reportage geht der stern der Frage nach: Wie gefährlich ist "Avatar", ein Coaching-Programm, das Kritiker als "quasi Scientology light" bezeichnen? Die zweiteilige Video-Dokumen-tation ist für Abonnenten von stern PLUS abrufbar.