Real Madrid-Star zurück im DFB-Team: Spielmacher und Entwicklungshelfer: Die neue Rolle von Toni Kroos in der Nationalmannschaft
Nach drei Jahren Pause ist Toni Kroos zurück im DFB-Team. Dort darf er einen Verteidiger geben, der nicht verteidigen muss. Dafür wird Erziehungsarbeit von ihm verlangt.
Zwei Drohnen surrten über den Rasenplatz an der Frankfurter Schwarzwaldstraße und filmten eineinhalb Stunden lang unermüdlich, was unter ihnen so passierte. Es war zwar nur das Auftakttraining der Nationalmannschaft mit viel Ballgeschiebe und wenig Taktik, aber in diesen Tagen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist alles bedeutsam. Die Zeit, die die Mannschaft zur Vorbereitung auf die Europameisterschaft hat, ist knapp bemessen, und deshalb soll jede Minute genutzt werden – auch in der Nachbereitung.
Trainingseinheiten werden mittlerweile analysiert wie Spiele: Wer macht immer mit, auch bei den ungeliebten Liegestützen? Wer führt das Kommando auf dem Platz? Wer ist gallig in den Zweikämpfen?
Gleich beim ersten Training stand Kroos im Mittelpunkt
Alles wichtige Informationen für den Bundestrainer Julian Nagelsmann. Wenn er sich an diesen Dienstagabend die Bilder anschaut, wird ihm ein Spieler auffallen. Ein leiser Typ, der den Ball nie lange hält, sondern ihn gern mit nur einer Berührung weiterspielt. Und, das ist das Besondere: der dafür den Blick nicht auf den Ball richten muss. Er gehorcht ihm auch so.
Solche Bilder haben sie lange nicht mehr gesehen beim DFB. Nun aber, nach drei Jahren Pause in der Nationalmannschaft, ist Toni Kroos zurück. Und gleich im ersten Training am Dienstag stand er im Mittelpunkt. Bei den Kleinfeldspielen war Kroos, 34, der Mann, zu dem viele Bälle gingen und der sie dann gleich weiterleitete mit der Präzision und dem Gleichmut einer Maschine.
Am Samstag schon wird sich Kroos auf dem Großfeld als Ballverteiler versuchen dürfen. Dann bestreitet die Nationalmannschaft ein Testspiel gegen den WM-Zweiten Frankreich (21 Uhr, ZDF). Kroos soll das deutsche Spiel aus dem defensiven Mittelfeld heraus organisieren, so wünscht es sich der Bundestrainer, der zuletzt unter Druck geraten war nach überraschenden Niederlagen gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2).
Nagelsmann startet mit sechs DFB-Neulingen ins EM-Jahr 14:15
Bei Real Madrid vergöttern sie Toni Kroos geradezu
Dem Spielmacher Kroos wird beim DFB noch eine weitere Rolle angetragen. Er soll sich um die beiden Hochbegabten in der Mannschaft kümmern, um Jamal Musiala und Florian Wirtz. "Es sind außergewöhnliche Spieler“, sagte Kroos bei seiner Vorstellung am Dienstag in Frankfurt. "Wir müssen sie dorthin bringen, dass sie uns Spaß machen.“
Das wird ab sofort sein Job sein. Musiala, 21, und Wirtz, 20, stehen vor Weltkarrieren – und Kroos ist bereits dort, wohin beide streben: ganz oben. Mit Real Madrid hat hat er fünf Mal die Champions League gewonnen, so häufig wie kein anderer deutscher Spieler. Kroos wird geradezu vergöttert bei Real, sein Karriereende darf er selbst bestimmen, ein Privileg, das dort nur den ganz Großen zuteil wird.
Umso erstaunlicher, dass Kroos sich noch einmal in die Niederungen des deutschen Fußballs begibt. Er habe alles abgewogen, "sämtliche Konstellationen bedacht“, die sein Comeback auslösen könnten, sagte er, "und am Ende standen da mehr Pluspunkte als Minuspunkte.“
Einer dieser Pluspunkte, das ließ Kroos durchblicken, ist die Tatsache, dass die EM in Deutschland stattfindet. Die WM 2006, das sogenannten Sommermärchen, verpasste er, weil er damals zu jung war. Jetzt bietet sich für ihn die Chance, ein großes Turnier in der Heimat mitzuerleben. "Das ist natürlich etwas Besonderes“, sagte Kroos in seiner nüchtern-lakonischen Art.
DFB Nationalmannschaft Trikots 15:55
Ob Kroos die Europameisterschaft in guter Erinnerung behalten wird, dürfte maßgeblich davon abhängen, wie Trainer Julian Nagelsmann das deutsche Spiel um ihn herum organisiert. Eine Fähigkeit, die nicht jedem Coach gegeben ist. Joachim Löw überschätzte einst die defensiven Talente von Kroos und mutete ihm bei der WM 2018 zu viel Kärrnerarbeit zu. Auch deshalb scheiterten die Deutschen bei dem Turnier bereits nach der Vorrunde (ja, als Gruppenletzter hinter Südkorea).
Wer wird der beste Side-Kick für Kroos?
In Madrid hingegen hatten sie schon früh erkannt, was sie von Kroos verlangen können – und was nicht. Über Jahre hatte Kroos in dem Brasilianer Casemiro eine Art Putzmann zugeordnet bekommen. Casemiro fegte weg, was Kroos liegen ließ. Kroos durfte sich Verteidiger nennen, ohne verteidigen zu müssen, auch das ein Privileg. In Madrid war man glücklich mit seinen Pässen, die das Spiel eröffneten. Mehr musste es gar nicht sein.
Nagelsmann wird das wissen. Nun gilt es, in den wenigen verbleibenden Trainingseinheiten herauszufinden, wer der beste Side-kick im DFB-Team für Kroos sein könnte. Der resolute Robert Andrich aus Leverkusen, einst gestählt bei Union Berlin, den Eisernen? Oder Pascal Groß aus Brighton, der etwas feinfüßiger ist und geräuschloser aufräumen kann?
Erste Hinweise wird die Frankreich-Partie liefern. Kroos ließ sich am Dienstag zu keiner Aussage hinreißen, welchen Spieler er denn am liebsten an seiner Seite hätte. Alle Fragen, die in diese Richtung zielten, wehrte Kroos souverän ab. Ein bisschen Defensive hat er dann doch drauf.